Alltagsnarzissten

Alltagsnarzissten
Alltagsnarzissten

"Alltagsnarzissten - Destruktive Selbstverwirklichung im Licht der Transaktionsanalyse", Ingrid Wandel & Fritz Wandel, Junfermann Verlag Paderborn 2012

 

Dieses Buch malt ein düsteres Bild von der Zukunft unserer Gesellschaft. Das Autorenpaar Ingrid und Fritz Wandel thematisiert das Phänomen des Narzissmus und stellt klar, dass wir im Zeitalter des Narzissmus angekommen sind. Als Alltagsnarzissten bezeichnet das Autorenpaar Menschen, die von ihrer Bedeutung durchdrungen und ständig auf ihren eigenen Nutzen bedacht sind. Die Autoren gehen von den Betroffenen aus, die sich ihrer Problematik nicht bewusst sind und denen man im Alltag überall begegnet (daher „Alltagsnarzissten“). Den anderen Personenkreis, der nicht ständig auf den eigenen Vorteil achtet und seinem Verhalten aus Rücksichtnahme gewisse Einschränkungen auferlegt, bezeichnen die Autoren als Neurotiker, die sie als eine aussterbende Spezies betrachten. Die Bezeichnung „Neurotiker“ könnte man als Kränkung auffassen. Der Leser versteht aber, dass diese Benennung auf Sigmund Freuds Psychoanalyse zurückgeht und dass die Autoren das Wort aus historischen Gründen gewählt haben. Über den negativen Beiklang dieser Bezeichnung hört man als Leser am besten hinweg. Wie hätten die Autoren den rücksichtsvollen, gehemmten Typus auch sonst nennen sollen? Und die Bezeichnung für den entgegengesetzten Typus, den Narzissten, ist nicht viel schmeichelhafter, auch wenn sie auf die griechische Mythologie zurück geht.

Das Autorenpaar beschreibt den Alltagsnarzissten detailliert mit mikroskopischer Genauigkeit. Offensichtlich haben die beiden Therapeuten unzählige Menschen dieses Schlages kennengelernt und analysiert, da sie das Problem von vielen Seiten aus und sehr tiefgründig beleuchten. Ihr Buch wendet sich sowohl an die Narzissten selbst, als auch an die Neurotiker, welche mit den Narzissten konfrontiert werden: Es soll explizit beiden Gruppen geholfen werden. Die Autoren stellen klar, dass es für einen Narzissten schwierig, aber möglich ist, sein charakteristisches, ichbezogenes Verhalten zu ändern. Auf der anderen Seite geben sie den Neurotikern Tipps, wie sie im Alltag leichter mit Narzissten zurechtkommen können – ebenfalls eine schwierige Aufgabe, die aber zu meistern ist.

Äußerst interessant ist es, was das Autorenpaar über die Entstehung von Neurose beziehungsweise Narzissmus zu sagen hat. Ihrer Ansicht nach sind beide Arten der Lebensbewältigung darauf zurück zu führen, wie die Bindung an ihre wichtigste Bezugsperson in früher Kindheit gelungen ist: Wenn eine stabile Bindung stattgefunden hat, ist der Mensch als Erwachsener ebenfalls bindungsfähig, hat jedoch unter Umständen Einschränkungen von seiner Bezugsperson vermittelt bekommen, die er im ungünstigen Falle ein Leben lang mit sich schleppt. Dies ist dann der sogenannte Neurotiker. Wenn dem kleinen Kind keine stabile Bindung zur Bezugsperson gelungen ist, entwickelt es ein Gefühl der eigenen Grandiosität und wird zum Narzissten. Dieses Konzept der frühkindlichen Bindung leuchtet nicht ganz ein, obwohl es durch das Autorenpaar aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt wird. Der angehende Narzisst ist also ein Kleinkind, das keine adäquate Bindung zu seiner Bezugsperson herstellen konnte, da die Zuwendung durch die Bezugsperson nicht ausgereicht hat. Andererseits kann man aber immer wieder beobachten, dass gerade Narzissten als Kinder besonders verwöhnt worden sind. Inwiefern hat es ihnen dann an Zuwendung gefehlt? Die Autoren schreiben in diesem Zusammenhang, dass es sich hier um eine schwache Bezugsperson gehandelt haben muss, die dem Kleinkind das Gefühl gegeben hat, überlegen zu sein. Man fragt sich aber, woher die Psychologen das alles so genau wissen wollen, zumal sich diese entscheidenden Prozesse in einem Lebensabschnitt ereignen, in dem ein Kind noch nicht erzählen kann, was es fühlt. Und an diesen frühen Kindheitsabschnitt kann man sich als Erwachsener auch nicht mehr erinnern. Diese Erklärungen sind zwar hochinteressant, aber irgendwie spekulativ. Weiter erklären die beiden Autoren, dass dem Menschen bereits in der frühen Kindheit sein Lebensskript mitgegeben wird, dem es unbewusst ein Leben lang folgt. Das Kind bezieht sein Lebensskript aus den Wünschen und Erwartungen, die ihm die Bezugsperson entgegenbringt. Es ist erschreckend, welche Macht der Erwachsene über das Leben eines Kindes haben kann.

Besonders beunruhigend an diesem Buch ist jedoch die Prognose des Autorenpaars: Die Alltagsnarzissten werden unaufhaltsam mehr. Es ist schwer verständlich, woran das liegt und warum unsere Gesellschaft innerhalb von wenigen Generationen verlernt hat, ihre Kinder zu sozialen Mitgliedern zu erziehen. Die Antwort darauf bleibt dieses Buch schuldig und kann sie auch nicht liefern, zumal es sich um einen Ratgeber handelt, und nicht um eine soziologische Studie. Die Lektüre stimmt jedenfalls nicht gerade zuversichtlich.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0