The Lieutenant

The Lieutenant
The Lieutenant

"The Lieutenant", Kate Grenville, Canongate Books 2009

 

Kate Grenvilles Erzählung "The Lieutenant" beruht auf einer wahren Begebenheit. Erzählt wird die Lebensgeschichte des britischen Mathematikers, Astronomen und Sprachforschers Daniel Rooke. Er wird 1762 in Portsmouth geboren und schon früh zeigt sich seine auserordentliche Begabung für Mathematik, die ihn allerdings zum Außenseiter macht. Er bekommt die Möglichkeit, die Marineakademie in Portsmouth zu besuchen, wo er seine naturwissenschaftlichen Studien fortsetzt.

 

Danach schlägt er eine Laufbahn als Leutnant zur See ein. Im Jahr 1781 kämpft er in einer Seeschlacht gegen die Franzosen, aus der er verletzt und schwer traumatisiert heimkehrt. Nach Monaten der Erholung in der Heimtat bietet man ihm die Teilnahme an einer mehrjährigen Expedition nach New South Wales an. Es handelt sich um einen Sträflingstransport; die Sträflinge sollen in Australien eine Siedlung gründen. Daniels Aufgabe ist es, als Astronom einen Kometen zu beobachten, dessen Wiederkunft für den Herbst 1788 vorausberechnet ist und der nur von der Südhalbkugel der Erde aus beobachtet werden kann.

 

Daniel Rooke greift mit beiden Händen zu; nach der Ankunft in der neuen Heimat werden die Siedler mit vielen Problemen konfrontiert: Besonders kritisch ist die Nahrungsbeschaffung. Die Siedler sind auf die Jagd angewiesen und bauen unter schwierigen Bedingungen Feldfrüchte an. Da der Nachschub an Lebensmitteln durch eine Versorgungsflotte aus England lange auf sich warten lässt, leiden die Siedler schlicht unter Hunger.

 

Eindrucksvoll wird die Begegnung mit den Aboriginals beschrieben. Die Neuankömmlinge haben zwar durchaus den guten Willen, friedlich mit den Aboriginals auszukommen, da ihnen klar ist, dass sie auf diese Menschen angewiesen sind, aber wie zu erwarten, kommt es trotzdem zu Schwierigkeiten. Die Briten gehen wie selbstverständlich von ihrer Überlegenheit aus und maßen sich das Recht an, sich den Lebensraum der einheimischen Bevölkerung anzueignen, was die Aboriginals auf die Dauer nicht ohne Widerstand hinnehmen.

 

Daniel Rooke hält Nacht für Nacht aus seinem eigenen kleinen Observatorium nach dem erwarteten Kometen Ausschau; als dieser nicht auftaucht, wendet er sich einer neuen Aufgabe zu: Er schließt Freundschaft mit den Aboriginals und erforscht ihre Sprache, wobei sich eine besonders intensive - rein platonische! - Beziehung zu dem Mädchen Tagaran entwickelt. Daniel lernt schnell, dass die Einheimischen Menschen wie du und ich sind, die über eine hochentwickelte Kultur und Sprache verfügen und im Einklang mit ihrer Umwelt leben. Er erkennt, dass die Überheblichkeit des vermeintlich zivilisierteren Briten, der sich für höher entwickelt hält, nicht angebracht ist.

 

Es kommt zur Eskalation, als Daniel Rooke in seiner Eigenschaft als Leutnant an einer Strafexpedition gegen die Aboriginals teilnehmen muss. Diese haben aus Ärger über das Eindringen der Weißen in ihren Lebensraum einen Briten getötet. Daniel soll zur Strafe zusammen mit seinen Kameraden sechs Eingeborene festnehmen, tot oder lebendig. Zwar warnt er vorher Tagaran, so dass seine neuen Freunde rechtzeitig fliehen können, aber trotzdem scheitert er schließlich an dem Gewissenskonflikt, der ihn letztendlich desertieren lässt. Er kommt mit dem Leben davon, obwohl Ungehorsam gegen die Obrigkeit damals grundsätzlich schwer bestraft wurde, und reist mit der inzwischen eingetroffenen Versorgungsflotte ab. Den Rest seines Lebens verbringt er damit, sich in verschiedenen Ländern gegen die Sklaverei einzusetzen und bis zu seiner völligen Verarmung Sklaven frei zu kaufen.

 

Die Geschichte ist sehr poetisch und wunderschön erzählt, wobei im Zentrum die Beziehung Daniels zu den Aboriginals steht, der als einziger seiner Kameraden sensibel genug ist, sich in diese Menschen einzufühlen und ihnen ebenso Gedanken, Gefühle und Intelligenz zuzugestehen wie den Weißen. Das Buch singt das Hohelied vom "edlen Wilden", was mich unwillkürlich ein wenig an Karl May und seinen Winnetou erinnert hat. Die Autorin ist für meinen Geschmack von der Gefühlslage her ein wenig über das Ziel hinaus geschossen in ihrem Bemühen, die Aboriginals als besonders edle und feinfühlige Menschen zu zeigen. Aber ich stimme ihr natürlich in der Grundtendenz völlig zu, dass es sich um Menschen wie du und ich handelt und dass es ein himmelschreiendes Unrecht war und ist, ihnen ihren Lebensraum wegzunehmen bzw. zu zerstören, sie zu versklaven oder zu töten. Ein sehr anrührendes Buch!

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