Auferstehung

Auferstehung
Auferstehung

"Auferstehung", Lew N. Tolstoj, 1984, Insel Verlag

 

In "Auferstehung" verknüpft Lew N. Tolstoj die Schicksale von zwei sehr unterschiedlichen Menschen in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts miteinander. Erzählt wird die Begegnung des jungen Fürsten Dmitri Nechljudow mit dem Hausmädchen Katjuscha Maslowa. Die beiden Tanten Dmitris haben die Waise Katjuscha als Kind bei sich aufgenommen und fast wie eine eigene Tochter aufgezogen; als die beiden jungen Menschen sich kennen lernen, verlieben sie sich ineinander. Allerdings hat Dmitri keine Geduld, um Katjuscha zu werben. Er verführt sie und verlässt sie anschließend. Damit verursacht er ihren schnellen Abstieg, der sie in die Prostitution führt.

 

Jahre später begegnen sie sich zufällig wieder, als Katjuscha wegen Mordes vor Gericht steht und Dmitri als Geschworener bei der Verhandlung fungiert. Obwohl Katjuscha nachweislich unschuldig ist, wird sie wegen eines reinen Formfehlers zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Von da an versucht Dmitri, der sie wiedererkannt hat, alles, um ihr zu helfen, und folgt ihr auf der langen und beschwerlichen Reise nach Sibirien.

 

In "Auferstehung" geht es im Wesentlichen um den seelischen Entwicklungsprozess des Dmitri Nechljudow. Als Schüler war dieser ein idealistischer junger Mensch gewesen, mit dem Wunsch, die Welt zu verbessern; allerdings hatte er sich bald darauf in einen egoistischen, rücksichtslosen Lebemann verwandelt, der nicht zögerte, ein unschuldiges junges Mädchen zu verführen und zu verlassen. Lew Tolstoj beschreibt nun minutiös die Zurück-Verwandlung ("Auferstehung") des jungen Mannes in einen anständigen Menschen, der nicht nur Katjuscha, sondern auch vielen anderen Menschen hilft, so gut er kann. Paralell dazu verläuft Katjuschas seelische Metamorphose vom ursprünglich anständigen Mädchen zur verbitterten, aus Not heraus hart gewordenen Frau, die sich schließlich mit ihrem Schicksal aussöhnt und als stärkerer und zufriedenerer Mensch in Sibirien ankommt.

 

In "Auferstehung" schildert Lew N. Tolstoj eine Reihe gesellschaftlicher Probleme seiner Zeit, die ihn offensichtlich sehr stark beschäftigt haben. Er kritisiert das Rechtssystem, das keine Gerechtigkeit schafft, ebenso wie den äußerst grausamen Strafvollzug. Er verwirft die Rituale und Dogmen der christlichen Kirchen und verurteilt das Klassensystem, in dem sich die Oberschicht auf Kosten der Armen bereichert. In dem Zusammenhang geht er vor allem intensiv auf das Problem des Landbesitzes ein. Tolstoj beschreibt dabei mit quälender Genauigkeit die Leiden und unerträglichen Lebensbedingungen der Armen und der Strafgefangenen und lässt seinen Protagonisten Dmitri Nechljudow die Ursachen dafür analysieren. Dmitri kommt zu dem Schluss, dass die einzig mögliche Lösung all dieser Probleme in der bedingungslosen Nächstenliebe und Vergebung im Sinne der Evangelien besteht.

 

Lew N. Tolstoj fesselt den Leser durch die Wucht seiner kraftvollen Erzählkunst. Die Erzählung schreitet schnell fort; Tolstoj erweist sich als großer Menschenkenner und Meister der Charakterstudie, der in "Auferstehung" eine Vielzahl von Charakteren mehr oder weniger ausführlich beschreibt. "Auferstehung" ist wegen des ernsten Themas eine sehr anspruchsvolle Lektüre, die durch ihren Realismus und ihre Aktualität beeindruckt. Die meisten der genannten Probleme finden sich in der heutigen Gesellschaft wieder. Ob sie allerdings durch Nächstenliebe und Vergebung lösbar sind, darf bezweifelt werden. Auch die Verwandlung des Dmitri Nechljudow scheint mir in ihrer Radikalität unrealistisch, wenn auch wünschenswert.

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