Professor Unrat

Professor Unrat
Professor Unrat

"Professor Unrat", Heinrich Mann, 2011, Fischer Taschenbuch Verlag

 

Mit "Professor Unrat" hat Heinrich Mann eine beklemmende Charakterstudie über einen ungemein tyrannischen Gymnasiallehrer geschaffen. Schauplatz der Erzählung ist eine provinzielle Hafenstadt im wilhelminischen Deutschland. In dieser Kleinstadt ist leicht Heinrich Manns Heimatstadt Lübeck wiederzuerkennen.

 

Professor Raat, besagter Tyrann, arbeitet bereits seit 26 Jahren am hiesigen Gymnasium. Der vereinsamte Mann unterrichtet seine Schüler mit äußerster Härte und Ungerechtigkeit. Menschenfeindlich, wie er ist, liegt ihm daran, seine Schüler völlig zu unterdrücken, wenn nicht gar zu vernichten. Sie danken es ihm mit größtmöglicher Feindseligkeit. Der Schüler Lohmann ist der einzige, der so souverän ist, die Unterjochung durch den Tyrannen wirkungslos von sich abprallen zu lassen und sogar Mitgefühl für ihn aufzubringen. Professor Raat wird allseits mit dem Spottnamen Unrat tituliert.

 

Unrat findet heraus, dass der Schüler Lohmann abends Vorstellungen der Sängerin Rosa Fröhlich besucht, und macht diese ausfindig. Er hofft, auf diese Weise eine Möglichkeit zu finden, Lohmann zu vernichten, da er an eine Affäre der beiden glaubt. Die drittklassige Sängerin zieht den Professor sofort in ihren Bann; er verfällt ihr. Sie heiraten und geraten bald in finanzielle Schwierigkeiten, da die Sängerin einen aufwändigen Lebensstil pflegt und Unrat vom Dienst suspendiert wird. Schließlich eröffnen sie, um sich finanziell zu sanieren, eine Art "Spielhölle", die eifrig besucht wird. Unrat befriedigt damit gleichzeitig seinen Drang, die Honoratioren der Kleinstadt, die ihn aus der Gemeinschaft ausgeschlossen haben, zu ruinieren. Letztlich besiegelt er damit aber seinen und Rosas Untergang.

 

"Professor Unrat" ist satirisch, aber von so bitterböser Art, dass dem Leser das Lachen im Halse stecken bleibt. Keiner der Beteiligten kommt ungeschoren davon, angefangen bei der kleinstädtischen Bevölkerung: Deren Doppelmoral tritt ungeschönt zu Tage. Auf der einen Seite verurteilen sie den Professor wegen seiner Beziehung zu einer Halbweltdame, andererseits frönen sie selbst Lastern aller Art. Der Professor selbst wirkt in seiner maßlosen Menschenfeindlichkeit geradezu grotesk. Obwohl er als Lehrer die preußischen Tugenden unnachgiebig vertritt, schlägt er letztendlich ins Gegenteil um und lebt Hass und Zerstörungswut hemmungslos aus. Wodurch Unrat so geworden ist, wird leider nicht erklärt, obwohl gerade dies hochinteressant wäre. Der Charakter Unrats scheint bizarr überzeichnet; viele Beispiele aus der Geschichte zeigen allerdings, dass Psychopathen seines Schlages keineswegs selten sind.

 

Die Darstellung der Gestalt Rosa Fröhlich - und anderer Frauenfiguren des Romans - wirft kein günstigeres Licht auf den weiblichen Teil der Gesellschaft. Von äußerst mäßiger künstlerischer Begabung, versteht es Rosa, ausnahmslos alle Männer zu manipulieren und für ihre Zwecke auszunutzen. Bezeichnenderweise wird sie im ganzen Buch konsequent mit "Künstlerin Fröhlich" tituliert, natürlich in ironischer Absicht. Einzig der hochintelligente Schüler Lohmann wirkt anständig und verkörpert höhere Ideale. Er allein lässt sich auch nicht von der Sängerin manipulieren. Man könnte ihn als Alter Ego des jungen Heinrich Mann interpretieren.

 

"Professor Unrat" fesselt durch die Klarheit der Sprache und den expressionistischen Stil, der zum Teil, vor allem bei Beschreibungen der "Künstlerin Fröhlich", den Eindruck eines Gemäldes vermittelt. Die bedrückende Thematik, bei der es letztendlich um Macht und Manipulation geht, ist auch heute noch aktuell. Ein zeitloses Buch.

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