Wege zur Weisheit

"Wege zur Weisheit", Hanne Tügel, 2011, S. Fischer Verlag GmbH

Dieses Buch enthält eine große Fülle an Fakten zum Thema Weisheit, die von Hanne Tügel mit  Umsicht gesammelt und zusammengestellt worden sind. Die Autorin beleuchtet aus vielerlei Perspektiven, was als weise angesehen wird, und zeigt die zahlreichen Facetten von Weisheit auf. Zunächst stellt sie dar, was Weisheit für die Völker der Antike bedeutete. Dabei wird klar, wie sehr die damaligen Vorstellungen noch immer unser Denken beeinflussen. Man erfährt, dass Weisheit in sehr frühen Kulturen sowohl mit Vernunft als auch mit Gefühl zu tun hatte, dass sich aber der Akzent spätestens im antiken Griechenland ganz auf die Ratio verlagerte. Die emotionale Seite wurde mehr und mehr verdrängt, was sich bis heute auf  unsere Vorstellung von Weisheit auswirkt. Auch eroberten Männer das Gebiet der Weisheit weitgehend als Domäne für sich. Den Frauen wurde die Gefühlsebene und damit das  vermeintliche Gebiet der Nicht-Weisheit als Wirkungsgebiet überlassen.

Ähnliches geschah zu Kolonialzeiten mit den Naturvölkern, die von den Eroberern als primitiv angesehen und vernichtet wurden, anstatt ihre hochentwickelten Weltanschauungen als Bereicherung anzuerkennen. Inzwischen gibt es aber positive Ansätze, wie auch die Weisheit von Naturvölkern bewahrt wird bzw. wie mehr und mehr weibliche Aspekte mit in die Weisheits-Vorstellung eingehen. Hier werden wichtige Begriffe wie Kunst, Musik, Gefühle und Intuition ins Spiel gebracht.

Hanne Tügel versäumt es nicht, auch die Weisheit von Tieren zu erwähnen, z. B. den interessanten Gedanken, bei Ameisen Weisheit zu finden. Deren Art von Weisheit besteht darin, sich ausschließlich für Dinge zu entscheiden, die für Ameisen wirklich nützlich sind, anstatt sich von nur vermeintlich Attraktivem ablenken zu lassen. In dieser Hinsicht sind sie tatsächlich weiser als der Mensch, der sich nur zu gerne von Versuchungen aller Art verlocken lässt. Die Autorin erwähnt ausdrücklich die Weisheit der Faultiere, die betont auf Langsamkeit setzen und dadurch schon seit Äonen auf unserem Planeten überlebt haben. Mehr Ruhe sieht sie als einen wichtigen Aspekt an, um als Mensch weiser zu werden. Ruhe und Nichttun ist gerade in den östlichen Weisheitslehren ein zentrales Thema. Aus diesem Grund ist es nicht einfach, östliche Anschauungen auf den Westen mit seiner Hektik und seinem Leistungsstreben zu übertragen.

Hanne Tügel berichtet außerdem darüber, was Neurologen zum Thema Weisheit zu sagen haben und welche Eigenschaften Menschen gemeinsam sind, die als weise angesehen werden. Dabei erwähnt sie vor allem die Punkte Selbsterkenntnis und Anerkennung der eigenen Grenzen. Gelassenheit wird genannt, die Fähigkeit, aus Krisen zu lernen und sich in schwierigen Lagen ggf. durch Ablenkung am Leben zu halten. Die Autorin widmet dem Thema Humor ein eigenes Kapitel, da dieser einen bedeutenden Aspekt menschlicher Weisheit darstellt. Schließlich arbeitet sie eine Art Weisheits-Gebot heraus, das die zentrale Erkenntnis aller Weltanschauungen darstellt. Es lässt sich auf eine einfache Formel bringen:„Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andren zu“. Die Autorin versäumt es außerdem nicht, sich ausführlich mit dem Thema Weisheit im Alter zu befassen und macht dadurch das Alter als eine Zeit der Ernte kenntlich, nicht nur als Lebensabschnitt des Verfalls. Dadurch kann sie die Angst vor dem Altern ein wenig beschwichtigen.

„Wege zur Weisheit“ ist ein wirklich angenehmes Buch, da Hanne Tügel einen äußerst lebendigen und kultivierten Schreibstil pflegt. Sie stellt uns eine Vielzahl von weisen Menschen vor, die Vorbildcharakter besitzen. Dadurch ist dieses anregende Buch  gleichzeitig unterhaltsam, optimistisch und ermutigend und nie langweilig, womit es viele Leserwünsche erfüllt.