Der Hauptmann von Köpenick

Der Hauptmann von Köpenick
Der Hauptmann von Köpenick

"Der Hauptmann von Köpenick", Carl Zuckmayer, November 2011, Fischer Taschenbuch Verlag

 

Diese Tragikomödie geht auf eine wahre Begebenheit im wilhelminischen Berlin zurück. Erzählt wird die Geschichte des Schusters Wilhelm Voigt, der als junger Mensch wegen eines kleinen Delikts ins Gefängnis kommt. Als er entlassen wird, verweigern ihm die Behörden eine Aufenthaltsbescheinigung. Ohne die bekommt er aber keine Arbeit. Und ohne Arbeit keine Aufenthaltsbescheinigung. Zugleich bekommt er auch keinen Pass, den er aber bräuchte, um im Ausland Arbeit finden zu können. Dies veranlasst ihn dazu, auf der Wache einzubrechen, um seine Polizeiakte zu vernichten und sich gleichzeitig einen Pass zu verschaffen. Er wird aber erwischt und für zehn Jahre inhaftiert. Während dieser Haft kann er sich genaue Kenntnisse über das Militärwesen aneignen. Als er endlich entlassen wird, bekommt er wieder keine Papiere und wird sogar aus seinem Heimatbezirk ausgewiesen. Da begeht er eine Verzweiflungstat: Er verschafft sich beim Trödler eine Hauptmannsuniform, und fährt, als Hauptmann verkleidet, nach Köpenick. Dort unterstellt er sich eine Abteilung von zehn Soldaten und besetzt das Rathaus. Er hält die Stadträte und die anwesenden Beamten in Schach und behauptet, Befehl zur Festnahme des Bürgermeisters zu haben. Als er erkennt, dass er auf dem Rathaus keinen Pass bekommen kann, was sein eigentliches Ziel war, beschlagnahmt er stattdessen über 4000 Mark aus der Kasse. Er könnte nun ins Ausland fliehen, lässt es aber sein, da er lieber in seiner Heimat bleiben will. Als seine verwegene Tat in der Öffentlichkeit bekannt wird, begeistert sich das einfache Volk dafür. Die Obrigkeit sucht tagelang nach dem Täter; schließlich stellt sich Wilhelm Voigt selbst.

 

Obwohl diese Tragödie in längst vergangener Zeit spielt, ist sie auch heute noch unbedingt lesenswert, allein schon wegen der lebendigen Milieustudie des wilhelminischen Berlin. Carl Zuckmayer lässt die unterschiedlichsten Personen auftreten und in allen möglichen Dialekten reden, allen voran Berlinerisch. Angeprangert wird die Behördenwillkür, die Wilhelm Voigt über sich ergehen lassen muss und die dazu führt, dass er einfach kein normales Leben mehr führen kann. Besonders erstaunlich ist der Charakter des Wilhelm Voigt: Der einfache Mann aus dem Volk ist intelligent und warmherzig und hat sich seinen Anstand bewahrt. Trotz aller Widrigkeiten lässt er sich nicht zur Gewalttätigkeit hinreißen, sondern versucht, seine Probleme auf subtilere Art zu lösen. Heutzutage würde jemand, der in eine ähnliche Zwangslage gerät wie Wilhelm Voigt, vielleicht Amok laufen. Nicht so der schlitzohrige Hauptmann von Köpenick. Sein Vorgehen zeugt von großer Raffinesse.

 

Gleichzeitig thematisiert die Tragikomödie die altbekannte Tatsache, wie sehr der Mensch seinesgleichen an der Kleidung und an Äußerlichkeiten misst. Der Spruch „Kleider machen Leute“ bestätigt sich hier auf traurige Weise. Es wirft kein günstiges Licht auf uns Menschen, dass Wilhelm Voigt im Zivilanzug ein Nichts ist und erst jemanden darstellt, sobald er in die Militäruniform geschlüpft ist. Außerdem wird der preußische Militarismus insgesamt karikiert, was erfrischend ist. Nebenbei wird der Lebensweg des Uniformrocks erzählt, der durch mehrere Hände geht, bis er schließlich zu Wilhelm Voigt gelangt. Dies ist eine unterhaltsame Nebenhandlung. „Der Hauptmann von Köpenick“ hat viel zu bieten: Eine Mischung aus Heiterem und Ernstem, Spaß und Sozialkritik, die sich munter miteinander vermischen. Sehr ansprechend.

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