Landgericht

Landgericht
Landgericht

"Landgericht", Ursula Krechel, 2012, Jung und Jung

 

Ursula Krechels kraftvoller Roman „Landgericht“ klagt an. Er klagt Nachkriegsdeutschland an und das Unrecht, das den Menschen angetan wurde, die von den Nazis ihrer Existenz beraubt wurden. Protagonist ist der Berliner Jurist Dr. Richard Kornitzer, der in den Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts eine glänzende Karriere beginnt und eine Familie gründet. All dies wird ihm allerdings durch die Machtergreifung der Nazis aus den Händen geschlagen. Immer mehr Restriktionen gegen Juden finden statt. Richard Kornitzer wird zwangspensioniert, seine arische Frau Claire verliert ihre Firma. Die beiden Kinder des Ehepaares müssen zu ihrem Schutz nach England geschickt werden, schließlich wird die Familie ihres Vermögens beraubt und der Vater sieht sich zur Flucht nach Kuba gezwungen. Zwar gelingt es dem Ehepaar Kornitzer nach dem Zweiten Weltkrieg, in Deutschland wieder Fuß zu fassen, aber nur unter unendlichen Schwierigkeiten und nicht in der Weise, wie sie sich ihr Leben gewünscht hätten. Z. B. muss sich die Familie in Mainz ansiedeln, anstatt wieder in Berlin leben zu können. Die Gesundheit des Ehepaares ist ruiniert. Die Entfremdung der beiden Kinder ist nach Jahren in England so groß, dass die Zusammenführung der Familie nicht mehr gelingt. Die Kinder Selma und Georg bleiben in England. Auch Richard Kornitzers Karriere stockt: Man verweigert ihm die zustehende Beförderung. Erschütternd wird der zermürbende Kampf Kornitzers mit den Behörden dargestellt, die für die Wiedergutmachung an den jüdischen Emigranten und Kriegsopfern zuständig gewesen wären, sich aber nach Leibeskräften darum bemühten, Ansprüche zurückzuweisen. Richard Kornitzers Kampf gipfelt darin, dass er eines Tages im Gericht den Artikel 3 des Grundgesetzes verliest und dadurch auf die ihm widerfahrende Diskriminierung hinweist. Mehr nicht. Es ist geradezu kurios, wie aufgeregt die Gerichtsbarkeit auf diese Aktion reagiert.

 

Überhaupt könnte man sich unendlich über den hintergründigen Humor des Buches amüsieren, wenn das Thema nicht so bedrückend wäre. Wie in der Realität geben sich hier Heiteres und Schweres die Hand. Ursula Krechels Sprachwitz amüsiert, z. B. hat man Spaß an dem Bild eines „abgebrochenen Philosophiestudenten“, von dem sie kurz vorher schreibt, er sei von recht zierlicher Gestalt. Ihre Kunst, beim Leser gewisse Assoziationen hervorzurufen, ist großartig. Ein anderes Beispiel: Von einer „unscheinbaren Sonne“ ist die Rede. Einfach genial. Dieses Buch ist anrührend, z. B. in der Beschreibung der Erlebnisse der beiden Kinder in England, oder in den unendlichen Schwierigkeiten, die der Vater in Kuba meistern muss. Nachkriegsdeutschland wird anschaulich dargestellt. Die empörende Tatsache, dass zahlreiche Nationalsozialisten nach dem Krieg schnell wieder in guten Positionen Fuß fassten, während die Verfolgten des Krieges auch hinterher weiter diskriminiert wurden, wird dokumentiert. „Landgericht“, diese bedeutende und preiswürdige Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte, besticht durch die Nüchternheit der Sprache, in der skandalöse Begebenheiten wie beiläufig dargestellt werden.

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