Jud Süß

Jud Süß
Jud Süß

"Jud Süß", Lion Feuchtwanger, 2013, Axel Springer AG, Berlin

 

In diesem kraftvollen Roman erzählt Lion Feuchtwanger wortgewaltig die Lebensgeschichte des Joseph Süßkind Oppenheimer, von seinen Gegnern spöttisch Jud Süß genannt. Joseph Oppenheimer war eine historische Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts. Er diente dem Herzog Karl Alexander von Württemberg als Berater und Finanzminister. Nach dem Tod des Herzogs wurde Joseph Oppenheimer verhaftet und enteignet. Lion Feuchtwanger zeichnet das Leben dieser bemerkenswerten Persönlichkeit eindrucksvoll nach. Er stellt dar, welch märchenhafter Aufstieg Oppenheimer dank seiner Geschäftstüchtigkeit und seines politischen Geschicks gelang. Allerdings fand dieser Aufstieg ein abruptes Ende mit der Verhaftung. Oppenheimers Erfolg ist umso erstaunlicher, da jüdischen Bürgern damals bekanntlich eine Vielzahl von Einschränkungen auferlegt wurde. Bemerkenswert ist, dass Joseph Oppenheimer so erfolgreich war, obwohl er seinen jüdischen Glauben beibehalten hatte. Der Roman spielt in einem Spannungsfeld der Glaubensrichtungen Judaismus, Protestantismus und Katholizismus. Die Handlung ist eine faszinierende und authentische Darstellung der damaligen Gesellschaft und der politischen Verhältnisse. Lion Feuchtwanger zeigt, wie sämtliche Mitglieder dieser Gesellschaft auf die eine oder andere Weise versuchen, meist ziemlich skrupellos ihre Interessen durchzusetzen und am besten auf ihre Kosten zu kommen. Joseph Süßkind Oppenheimer wird als ein besonderer Meister in dieser Kunst gezeichnet: Er präsentiert sich anfänglich als krasser Opportunist, der durch Anpassung und scheinbare Unterwürfigkeit seine Ziele verfolgt und dabei überaus wohlhabend und erfolgreich wird. Er scheut sich nicht, jeden zu manipulieren und für seine Zwecke auszunutzen. Klar zeigt sich jedoch, dass er damit keineswegs allein da steht, sondern sich so verhält wie sämtliche Mitglieder der Gesellschaft. Die Frauen kommen in Feuchtwangers Roman nicht gut weg. Genau wie die Männer, sind auch sie stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht und werden dabei entweder als besonders skrupellos oder besonders beschränkt dargestellt. Man erschrickt, wenn man liest, wie die Männer hier mit den Frauen umgehen und sie ausschließlich für ihre Zwecke instrumentalisieren. War das 18. Jahrhundert wirklich so? Letztendlich zeichnet Lion Feuchtwanger so gut wie alle Erwachsenen, ob Mann oder Frau, als ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachte, rachsüchtige, missgünstige Kreaturen. Einzig die Tochter des Joseph Oppenheimer, Naemi, wird als reine Seele dargestellt, was aber nur dadurch zu erreichen war, dass sie völlig abgeschottet von aller Welt erzogen wurde. Und genau diese Weltfremdheit wird ihr letztendlich zum Verhängnis.

 

Joseph Oppenheimer erfährt im Lauf der Erzählung allerdings eine Läuterung. Immerhin setzt er sich für einen seiner Glaubensgenossen ein, der unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Selbst in Haft geraten, wird Oppenheimer enteignet und erreicht schließlich einen buddhistischen Zustand der Bedürfnislosigkeit – eine Entwicklung, die Lion Feuchtwanger, wie er im Nachwort erklärt, bewusst so heraus gearbeitet hat. Am Ende weigert sich Joseph Oppenheimer schließlich, durch Übertritt zum Christentum sein Leben zu retten. Er geht, dem Glauben seiner Väter treu, in den Tod.

 

Lion Feuchtwangers Roman ist realistisch, hart, politisch. Der Autor war ein genauer Kenner der menschlichen Psyche und zeichnet kein positives Bild der Menschheit. Die Erzählung kann als Spiegel der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts und ebenso als Spiegel unserer heutigen Gesellschaft gesehen werden, da wir uns seit damals nicht wesentlich zum besseren gewandelt haben. Nach wie vor neigen wir dazu, nur auf unseren eigenen Vorteil zu achten – zu Ungunsten der anderen. „Jud Süß“ ist ein pessimistisches Buch. Der einzige durch Feuchtwanger angedeutete Ausweg aus unserer Misere könnte der buddhistische Pfad der Bedürfnislosigkeit sein.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0