Der Untertan

Der Untertan
Der Untertan

"Der Untertan", Heinrich Mann, 2013, Axel Springer AG, Berlin 

 

Hier hat Heinrich Mann das Psychogramm eines herzlich unsympathischen Menschen geschaffen. Mann schildert seinen Protagonisten, den wilhelminischen Zeitgenossen Diederich Häßling, als grotesk abstoßenden Typen. Diederich ist der Sohn eines Industriellen: Der Vater ist Inhaber einer Papier-Manufaktur. Die Erziehung durch den Vater ist extrem streng, von der Mutter dagegen wird Diederich verwöhnt. Kommt uns diese unheilvolle Konstellation nicht irgendwie bekannt vor? Schon von Kindheit an zeigt sich bei Diederich ein krass opportunistischer Wesenszug, der sich während seines gesamten Werdegangs fortsetzt. Egal, ob in der Schule, beim Militär, in der Studentenverbindung, im Studium, als Fabrik-Direktor oder als Stadtverordneter, immer handelt Diederich nach der bekannten Radfahrer-Devise „nach oben buckeln, nach unten treten“. Jeder in seinem näheren Umfeld hat darunter zu leiden, ob es sich nun um seine politischen Gegner handelt, um seine Jugendliebe, seine Angestellten oder seine Familienmitglieder: Diederich unterdrückt jeden, dem er sich überlegen fühlt. Sämtliche Personen, die ihm begegnen, werden eiskalt nach ihrem Nutzwert beurteilt und dementsprechend behandelt. Hoch über all dem steht für Diederich jedoch der Kaiser, den er über alles verehrt und als Inbegriff der Macht maßlos bewundert. Am Ende der Erzählung lässt Heinrich Mann den Diederich Häßling in seiner wahren Gestalt auftreten, dem Teufel gleich. Sogar der Himmel scheint sich über Diederich zu empören und lässt einen gigantischen Wolkenbruch über dem Nichtswürdigen niedergehen, was diesen aber nicht weiter berührt: Der Untertan bleibt seinem Kaiser, und vor allem sich selbst, treu.

 

Die Charakterzeichnung dieses Scheusals durch Heinrich Mann ist trotz, oder gerade wegen der Satire, einfach beklemmend, wenn man sich vor Augen hält, dass Menschen vom Schlage eines Diederich Häßling kein Einzelfall sind. Auch wenn wir die Monarchie mit all ihren Auswüchsen und Unmenschlichkeiten hinter uns gelassen haben, so dass zumindest das durch Diederich verkörperte, absurde Obrigkeitsdenken in dieser extremen Form nicht mehr vorkommt, ist der Opportunismus nicht ausgestorben. Heinrich Manns Roman ist ein entlarvendes Sittengemälde der bürgerlichen Gesellschaft vom Ende des Neunzehnten Jahrhunderts, in der jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Man kann nicht umhin, mit der heutigen Gesellschaft zu vergleichen.

 

 

 

 

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